EU lockert KMU-Kreditvergabe

Ab Ende Juni können die Erleichterungen in Anspruch genommen werden. Der Fachverband der Raiffeisenbanken fordert eine längere Verschiebung von Basel IV.

Über einen „großen Erfolg in Brüssel“ freut sich der Fachverband der Raiffeisenbanken: Im Zuge eines Eilverfahrens haben sich die EU-Kommission, der Rat und das Europäische Parlament auf ein Maßnahmenpaket zur Anpassung der Eigenkapitalverordnung CRR („CRR Quick Fix COVID-19“) geeinigt. Das bringe den Raiffeisenbanken „eine gewaltige Entlastung“ bei der Eigenmittelunterlegung, so der  Fachverband. Für den EU-Gesetzgeber sei es entscheidend, dass Kreditinstitute ihr Kapital dort einsetzen können, wo es am dringendsten benötigt werde: bei der Kreditvergabe. Deshalb werde die Eigenkapitalverordnung CRR in einigen wenigen Bestimmungen adaptiert, um Eigenmittel für die zusätzliche Kreditvergabe frei zu machen. An der Umsetzung von Basel IV werde indes weitergearbeitet, hieß es.

Die für die Raiffeisenbanken bei weitem bedeutendste Änderung ist dem Fachverband zufolge die Erweiterung des sogenannten „KMU-Faktors“. Dieser eigenmittelbegünstigende Faktor für Kredite an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Höhe von 76 Prozent darf aktuell nur bis zu einem Kreditbetrag von 1,5 Mio. Euro angewendet werden. Ab Ende Juni wird diese Vergünstigung auf Kredite bis zu 2,5 Mio. Euro ausgeweitet. Als Verhandlungsführer der Europäischen Volkspartei trieb Othmar Karas, Vizepräsident des EU-Parlaments, die Ausweitung voran: „Dieser wichtige Baustein der europäischen Antwort auf die Corona-Krise ermöglicht bis zu 450 Milliarden Euro an zusätzlicher Kreditvergabe für Bürger und Unternehmen in diesem Jahr.“ Karas zeigte sich über die rasche Umsetzung froh.

Als weitere Verbesserungen für die KMU-Kredite wurden neue Risikogewichte (RWA) in Höhe von 85 anstatt der bisherigen 100 Prozent beschlossen. Diese Erleichterung helfe gerade Ländern mit einer kleinstrukturierten Wirtschaft wie Österreich. „Die Ausweitung des KMU-Faktors unterstützt die Raiffeisenbanken mehr als alle anderen Maßnahmen in der Krise. Wir gehen von einer RWA-Ersparnis in Milliardenhöhe aus und sind sehr froh, dass wir als Fachverband gerade jetzt in der Krise diese Verbesserungen dauerhaft für die Raiffeisenbanken durchsetzen konnten“, sagt Johannes Rehulka, Geschäftsführer des Fachverbandes der Raiffeisenbanken. Neben der Ausweitung des KMU-Faktors wird u.a. auch ein neuer eigenmittelbegünstigender Infrastruktur-Faktor in Höhe von 75 Prozent, ein Risikogewicht von 35 Prozent für Angestellten- und Pensionskredite sowie eine Erleichterung für Investitionen in Software-Vermögenswerte vorgesehen. Letztere müssen nicht mehr vom Kernkapital abgezogen werden, sobald der diesbezügliche technische Standard der EU-Aufsicht vorliegt.

Bereits im April 2020 hatte der Basler Ausschuss die Umsetzungsfrist von Basel IV um ein Jahr auf Ende 2023 verschoben. An den Plänen für die Umsetzung des neuen Eigenmittelstandards hat dies zumindest innerhalb der Behörden wenig geändert. Die EU-Kommission will den Gesetzesvorschlag für die Umsetzung des neuen Eigenmittelstandards statt im Juni nun Ende des Jahres 2020 veröffentlichen. Doch viele Experten sind sich einig, dass eine Verschiebung von Basel IV um lediglich ein Jahr den Herausforderungen der größten Wirtschaftskrise in den letzten Jahrzehnten nicht gerecht wird und fordern eine längere Nachdenkpause. Gerade jetzt würden Banken ausreichende Eigenmittel für Kredite brauchen.

Insoweit stellt sich für viele die Frage, warum in der schwersten Krise seit 70 Jahren neue kreditbeschränkende Maßnahmen verhandelt werden sollen? Zur Erinnerung: Die Europäische Bankenaufsicht EBA hat berechnet, dass die Eigenmittelquoten der europäischen Banken durch die Umsetzung der Reform von 17,9 Prozent auf 14,3 Prozent sinken und einen Mehrkapitalbedarf von 135 Mrd. Euro (!) auslösen würden. Es wäre wohl auch nicht leicht für die EU-Kommission zu erklären, warum man dieses für die Kreditvergabe benötigte Eigenkapital just in der Covid-19-Krise entziehen sollte. Daher fordert der Fachverband, dass die Umsetzung der Basel-IV-Reformen noch weiter, „idealerweise um einen Konjunkturzyklus“, nach hinten verschoben werde. lov